Die historische Segnung der Antibiotikaentwicklung steht einer akuten und besorgniserregenden Bedrohung durch Resistenzen und multiresistente Keime gegenüber. Das MRE-Netzwerk Rhein-Main setzt sich mit seiner Aufklärungsarbeit dafür ein, das oft unterschätzte Problem stärker ins Bewusstsein zu rücken.
Die Corona-Pandemie hat dieses wichtige Anliegen vorübergehend in den Hintergrund gedrängt, jedoch bleibt die Gefahr des Antibiotikaeinsatzes und der wachsenden Bildung multiresistenter Keime präsent. Dr. Nikolaos Sapoutzis, Vorsitzender des MRE-Netzwerks Rhein-Main, sieht dies als eine ernsthafte Bedrohung für die Gesundheitssysteme. Er erklärt: „Die Pandemie hat uns gezeigt, wie eng die Menschheit bei der Verbreitung von Krankheiten zusammenrückt. Die Tatsache, dass weltweit im Jahr 2019 schätzungsweise 4,95 Millionen Todesfälle mit bakteriellen AMR-Infektionen in Verbindung
gebracht wurden, von denen 1,27 Millionen direkt auf Antibiotikaresistenz als Todesursache zurückzuführen waren, verdeutlicht die beunruhigende Dimension.
Dr. Sapoutzis betont, dass das Thema in den letzten vier Jahren und insbesondere seit Beginn der Pandemie nicht mehr die verdiente Aufmerksamkeit erhalten hat. „Weniger ist mehr“, sagt Dr. Sapoutzis. Er sieht niedergelassene Ärztinnen und Ärzte als Schlüsselakteure im Kampf gegen übermäßige Antibiotikaverschreibungen. Er erkennt, dass es in vielen Fällen einfacher ist, bei bestimmten Infektionen schnell ein Antibiotikum zu verschreiben, um den Erwartungen der Patientinnen und Patienten gerecht zu werden. Doch gerade bei weniger schwerwiegenden Infektionen ist das Abwarten eine sinnvollere und verantwortungsvollere Option.
Um Praxen in dieser nicht immer einfachen Situation bei der Kommunikation mit ihren Patientinnen und Patienten zu unterstützen, hat das Netzwerk umfangreiche Informationsmaterialien in diversen Sprachen entwickelt, die gratis unter downloads heruntergeladen oder bestellt werden können. Dort sind auch Schulungen und Fortbildungen verfügbar. Ein solches Beispiel ist das Projekt Rationale Antibiotikatherapie durch Information
und Kommunikation (RAI). Dieses Projekt vermittelt nicht nur Wissen über die Entstehung von Antibiotikaresistenzen und den angemessenen Einsatz von Antibiotika, sondern konzentriert sich auch gezielt auf Kommunikationsstrategien und -wege.
Zusätzlich zu Schulungs- und Fortbildungsangeboten bietet das MRE-Netz Rhein-Main gemeinsam mit der BG Unfallklinik Frankfurt am Main die Arbeitsgruppe Antibiotic Stewardship an, die die regionale Expertise vieler Gesundheitsakteure vereint mit dem Ziel, Synergien zu fördern, einheitliche
Strukturen zu etablieren und voneinander zu lernen. „Die Teilnahme von interessierten niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten ist ausdrücklich erwünscht“, betont Dr. Sapoutzis.
Die Mitgliedschaft im Netzwerk ist kostenfrei und äußerst sinnvoll, denn das Hauptziel des Netzwerks besteht darin, das Bewusstsein für die hohe Relevanz dieses Themas zu stärken. Aktuell gehören dem Netzwerk 360 Mitglieder an, darunter neun regionale Gesundheitsämter, zahlreiche Kliniken, Rettungsdienste, Pflegeeinrichtungen und auch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte. Das Hessische Ministerium für Soziales und Integration unterstützt das Netzwerk als Schirmherr, jedoch bleibt die finanzielle Ausstattung problematisch. Dr. Sapoutzis appelliert daher an die verantwortlichen Stellen und bittet um Gespräche über die Vergabe eines jährlichen Budgets für das Netzwerk.
Denn es steht viel auf dem Spiel: Die europäische Gesundheitsbehörde schätzt die zukünftigen Auswirkungen von multiresistenten Keimen als genauso gravierend ein wie die von Grippe, Tuberkulose und AIDS zusammen. Um niedergelassene Kolleginnen und Kollegen besser für dieses Thema zu sensibilisieren und zu unterstützen, plant das Netzwerk gemeinsam mit der KVH eine Fortbildung.
Autor: Karl M. Roth
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 6-2023 des Servicemagazins Auf den PUNKT. der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (KVH) erschienen.